Panel 2: Welche Schwächen der etablierten Parteien nutzen die Populisten?

Neu, Cuperus, Nijhuis (v.l.)
Im Panel 2 des "NRW-Forum: Zukunft" referierten und diskutierten Frau Dr. Viola Neu und René Cuperus über die Herausforderungen an die Demokratie durch Populismus. Die Moderation hat Prof. Dr. Ton Nijhuis übernommen. Wir haben live von der Veranstaltung gebloggt:

Nijhuis: "Nicht die Frage, 'was macht populistische Parteien aus' wird hier gestellt, vielmehr soll versucht werden zu beantworten, was eigentlich populistische Wähler ausmacht. Und wieso sind etablierte Parteien nicht in der Lage die Wünsche von 'Populistenwählern' zu bearbeiten?"...

Den Anfang macht Frau Dr. Viola Neu von der Konrad-Adenauer-Stiftung.:
"Alle etablierten Parteien sitzen in einem Boot, sie haben ein Problem mit der Mobilisierung der Wähler, zudem verlieren sie an Bindungswirkung! Es gibt keine festen ideologischen Bindungen mehr, stattdessen 'Patchwork-Ideologien'. Dies nutzen Populisten aus. Die Strategien der Populisten sind: Elitenkritik ('die da oben') und Ausgrenzungstendenzen (antiislamistisch).

Die Merkmale der Populisten: Ruf nach einem starken Führer, eine wahrgenommene Bedrohungslage, Angst vor Modernisierung / gesellschaftlichem Wandel, Verbreitung diffuser Verschwörungstheorien, geringe Organisationsmerkmale -> große Differenzen zu den etablierten Parteien"

Frage aus dem Publikum: "... meinen Sie nicht eher "antiislamisch"? "Antiislamistisch" sind wir doch hoffentlich alle."

Neu: "Dies geht häufig durcheinander, die Populisten nutzen eigentlich Merkmale der Islamisten, um sie dann auf den Islam als ganzes, auf alle Muslime zu übertragen. Die Vorkommnisse die von den Populisten instrumentalisiert werden, tragen eigentlich immer islamistische Züge, deshalb spreche ich lieber von 'Antiislamismus'".

René Cuperus übernimmt und entschuldigt sich zunächst augenzwinkernd für sein niederländisches Deutsch. "Aufgrund der Offenheit des niederländischen politischen Systems ist Niederlande als ein Versuchlabor für neue politische Gruppierungen anzusehen. In fast allen europäischen Ländern sehen sich die etablierten Parteien von links und rechts unter Druck durch Populisten. Die Frage die im Raum steht: Ist dies ein vorübergehender Trend, oder der Beginn von etwas ganz neuem?"

"Sarrazin hatte kein Charisma und keine politischen Ambitionen, Pim Fortuyn war das genaue Gegenteil. Die populistische Bewegung in den Niederlanden ist nicht klassisch rechtsextrem, sie ist eher ein "Bild-Zeitungs-Populismus""

"Die Schwächen der etablierten Parteien:

1.  Produzieren keine Sicherheit mehr, bieten keine Kontinuität im angesichts der Globalisierung
2.  Eine scheinbar alternativlose, technokratische Anpassungspolitik an die Globalisierung, die die Unterschiede im Rechts-Links-Spektrum ausgelöscht hat. Beispiel Europa: Sowohl in der BRD, als auch in den Niederlanden herrscht in den etablierten Parteien übergreifender Konsens. Wenn kein Rechts-Links-Cleavage entsteht, entsteht ein "Oben-Unten" Cleavage - dies nutzen die Populisten"

Beginn der Diskussion
Neu: "Den Punkt den Herr Cuperus angesprochen hat, das Eingestehen der Ratlosigkeit in Fragen der Globalisierung - das sehe ich nicht als Schwäche, sondern als ehrliche  Kommunikation. Wenn sich jemand hinstellt und proklamiert 'ich habe die Lösung' - dies ist viel gefährlicher. Alle deutschen Bundestagsparteien (mit Ausnahme der Linken) nehmen eine eher erklärende, differenzierende Haltung ein - und dies ist sehr gut!"

Cuperus: "Vielleicht machen die deutschen Politiker einen besseren Job. Aber der antieuropäische Populismus könnte sich etablieren, im Angesicht der Euro-Krise und Griechenland. Wenn die Wähler merken, dass die Politiker total verwirrt und unsicher sind, jetzt in der Krise, ich weiß nicht ob dies so gut ist."

(Anmerkung Nijhuis: "Politiker haben im internationalen Bereich ja nicht nur Verpflichtungen gegenüber ihren Wählern, sondern auch gegenüber ihren internationalen Partnern.")

Neu: "Wir müssen die Dimensionen trennen. Wir können nicht ausschließen ob sich nicht doch eine links-/, rechtspopulistische, antieuropäische oder 'law-and-order' Partei bildet. Wie dies aussehen könnte ist noch völlig unklar. Wir müssen unterscheiden zwischen Populismus und Extremismus: Populisten stellen nicht das System an sich in Frage, sind zudem koalitions- und regierungsbereit. Dieses Protestmomentum was die Populisten ausmacht kann in der Regierungsverantwortung schnell versanden. Man muss festhalten: Die Populisten stellen die Demokratie nicht in Frage. Entscheidungen für Populisten oder deren Positionen können auch/bzw. sind auch demokratisch legitim."

Frage aus dem Publikum: "die Volksparteien besetzen doch auch populistische Positionen. Wo ist genau der Unterschied, wo die Abgrenzung zum Populismus?"

Cuperus: "Wichtig ist, dass die Volksparteien nicht zu Verwaltungsapparaten verkommen, sie müssen zivilisiert populistisch sein. Es gibt den "Stammtisch" nun einmal, und diese Positionen müssten von den Volksparteien bedient werden."

Neu: "'Populismus' ist ja auch ein Kampfbegriff, Seehofer und Lafontaine wird dieser Vorwurf ja schnell gemacht, wenn sie komplexe Sachverhalte etwas 'einfacher' formulieren. Die Politik allgemein ist zu elitenzentriert, die Sprache muss einfacher werden. Hier muss man unterscheiden zwischen Populismus 'als Stil' und dem wirklich politisch aktiven Populismus. Wähler sind auch emotionalisiert und nicht immer rational, dies darf von den Parteien nicht vergessen werden. Wir haben in unserer Forschung festgestellt: Die Menschen sind in ihren Positionen sehr heterogen und nie durch alle Felder konsequent. Sie haben daher auch Verständnis für thematisch heterogene Parteien."

Frage aus dem Publikum zum Anti-Islamismus: Normativ ist das doch viel gefährlicher als alle anderen angesprochenen Punkte, Wilders begründete sozusagen eine "Islamophobe Internationale" - wie sehen Sie das?

Cuperus: Der Antiislamismus ist kein klassisches Unterschichtsphänomen. Hauptsächlich Frauen, aus höheren Bildungsschichten betrachten den Islam als Gefahr und führen sich politisch zu Wilders hingezogen.  Beim Islam gibt es ja vor allem ein Spannungsverhältnis zum Feminismus. Wilders kann hier aber sein Potenzial nicht voll ausnutzen, für gebildetere (Frauen) ist er dann aber auch wieder zu extremistisch. Viele andere wiederum wählen Wilders nicht wegen seinen Positionen zum Islam - sondern aufgrund seiner Versprechen der Verbrechensbekämpfung, wir haben eine große Migrantenkriminalität in den Großstädten.

Hier musste das Liveblogging aus technischen Gründen leider abgebrochen werden.
Die Diskussion kam noch auf 'HartzIV' zu sprechen. Die Frage stand im Raum, ob der Wählerverlust der SPD nach den Agenda 2010-Reformen einen tatsächlichen Vertrauensverlust widerspiegelte - oder ob es letzlich an Oskar Lafontaine lag, der mit seinem populistischen(?) Potential die Unzufriedenheit zugunsten 'seiner' WASG forcierte. Diese Position wurde von Frau Dr. Neu vertreten, die dies vor allem zeitlich begründete. Der Wählerverlust der SPD habe viel später als die Agenda-2010-Reformen stattgefunden, erst als Oskar-Lafontaine auf den Plan trat, begannen die 'neuen Montagsdemonstrationen' und die SPD verlor an Wählern.

Aus dem Publikum wurde dagegengehalten, dass mit Beschluss der Reformen die Auswirkungen für die Bürger noch gar nicht spürbar gewesen sein. Erst mit der Implementierung des Gesetzes sei vielen bewusst geworden was die Reformen bedeuteten. Viele Wähler hätten hierdurch ihr Vertrauen in die SPD als sozialdemokratische Institution (dauerhaft) verloren.

Prof. Ton Nijhuis bedankte sich bei den Referenten und Gästen, während über den Beamer der nächsten Punkt der Tagesordnung verkündet wurde: 
"Nu een kopje koffie!"

Foto: Jonas Israel

Bereits im Vorfeld der Veranstaltung haben Viola Neu und René Cuperus uns ihre Ansichten in ausführlichen Interviews mitgeteilt:

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