Professor Paul Dekker im Interview

Professor Paul Dekker ist Referent im Panel 1 des NRW Forums: Zukunft Demokratie. In diesem Panel geht es um die schwindende Orientierungsfunktion der Volksparteien. Der niederländische Politologe ist Leiter einer Forschungsgruppe am Sociaal en Cultureel Planbureau in Den Haag und Professor für Civil Society an der Universität Tilburg. Für den zukunftdemokratie-Blog hat er sich zu einem E-Mail-Interview bereiterklärt.  

Was sind die Stärken und Schwächen der “niederländischen” Demokratie?
Stark scheint mir noch immer die Offenheit des Systems gegenüber neuen Entwicklungen. Ohne Sperrklausel können neue Parteien leicht vertreten und – wie mit der LPF 2002 gezeigt– schnell an der Regierungsmacht beteiligt werden. Eine Schwäche dieses großen Repräsentanzvermögens ist, dass die Regierungsbildung oft schwierig ist und die Koalitionsregierungen manchmal wenig profiliert sind. Eine Schwäche scheint mir auch, dass das System zu wenig offen ist für direkten Bevölkerungseinfluss, bzw. die Politiker zu ängstlich sind, das System weiter zu öffnen.

Wieso funktioniert der Rechtspopulismus in einem urliberalen Land wie den Niederlanden?
Ich bin nicht so sicher, ob das Land so urliberal ist und auch nicht ob ‚Rechtspopulismus‘ als Diagnose von etwas, was angeblich funktioniert, hinlangt. Vielleicht war das Land so lange politisch überkorrekt und so lange verträumt in seiner sogenannten Urliberalität, dass eine längere rohe Wiederherstellung der realen Verhältnisse in der Politik fast unvermeidlich wurde. Übrigens sollte man die Unterstützung des Rechtspopulismus nicht übertreiben. Die PVV bekam 2010 15,4% der Stimmen; die LPF bekam in 2002 17,0%, aber bei den Wahlen dazwischen, 2006, gab es die LPF nicht mehr und die PVV bekam 5,9%, die (linkspopulistische?) SP dann allerdings 16,6%

Die schwindende Wahlbeteiligung ist zu einem Problem der Demokratie geworden. Wieso zwingen wir die Bürger nicht, wie z.B. in den Niederlanden bis 1970, und setzen auf eine Wahlpflicht?
Ob die Wahlbeteiligung strukturell sinkt scheint mir doch noch eine Frage zu sein (1981 87%, 1982 81%, 1986 86%,1989 80%, 1994 79%, 1998 73%, 2002 79%, 2003 80%, 2006 80%, 2010 75%). Dreiviertel ist doch nicht so dramatisch und wenn es was zu wählen gibt bzw. die Wahlen genügend spannend sind, gibt es auch höhere Beteiligung. Ich denke die Vorteile von Aufkommenspflicht (das Wegnehmen von Verlegenheit bei Nichtwählern, größere Repräsentativität) kann nicht gegen die Nachteile (die negative Empfindung von Demokratie als Zwang, die Einladung zur Provokation einer Gegenstimme) aufgewogen werden.

Die Wissenschaft warnt davor, die Bürger wollen mehr davon: direkte Demokratie – ist die repräsentative Demokratie ein Auslaufmodell?
Wieso Warnung? Sie unterstellen dass etwas bedroht wird? Es stimmt sicherlich auch für die Niederlande, dass es schon lange eine klare Mehrheit für Volksabstimmungen und auch für Direktwahlen für Bürgermeister gibt, aber ich denke für die meiste Leute doch eher als Ergänzung denn als Alternative für die repräsentative Demokratie. Die repräsentierenden Politiker reagieren in der Mehrheit jedoch sehr ängstlich und haben aus dem Europareferendum von 2005 auch wohl die Folgerung gezogen ‚Das nie wieder‘. Das verstärkt das Misstrauen gegenüber der Politik und stärkt die repräsentative Demokratie sicherlich nicht. 

Zuletzt ein Blick in die Zukunft der Parteien: Welche organisatorischen Veränderungsprozesse müssten die etablierten Parteien einläuten, um künftig wählbar und damit gestaltungsfähig zu bleiben? Wie sieht die Partei der Zukunft aus?
Das sind schwierige Fragen. Parteien haben verschiedene Funktionen (Rekrutierung/Nominierung für politische Funktionen, Repräsentation und Integration von Wünschen, Kommunikation und Sozialisation, Mobilisierung und mehr). Es ist nicht unbedingt so, dass diese Funktionen einander stärken und dass aktive Mitglieder, innere Demokratie und Attraktivität für Wähler Hand in Hand gehen. Es gibt kein Erfolgsmodell. In den Niederlande sind organisatorisch sehr verschiedene Parteien erfolgreich bei Wahlen: die sozialistische SP mit in vielen Bereiche aktivistischen Mitgliedern, die linksliberale D66 mit manchmal kaum genügend Mitgliedern, um bei Kommunalwahlen genügend Kandidaten zu stellen, und die PVV die überhaupt keine Mitglieder hat. Ich denke nicht, dass es ein Modell der Partei der Zukunft gibt.

Das Interview führte Jonas Israel.

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