Abschlussplenum: Vitalisierung der Parteiendemokratie

Zum Abschluss des NRW Forums führen Politiker und Wissenschaftler die praktische und die theoretische Perspektive zusammen. In der Abschlussrunde sitzen Franz Müntefering, Ton Nijhuis, Warnfried Dettling und Fleur de Beaufort auf dem Podium. Hans Wupper und Julitta Münch übernehmen die Moderation. Wir bloggen live aus der Veranstaltung...

Hans Wupper leitet die Diskussion ein: "Wir leben heute in einer anderen Welt. Früher gab es nur die Demokraten und die Extremisten. Die Populisten von heute sind so klar aber nicht zu erkennen."

Eine zentrale Frage der Demokratie ist demnach: "Wie verhält sich Demokratie, wenn es nichts mehr zu verteilen gibt? Wie kann Demokratie vitalisiert werden?"

Das hängt eng mit den Ergebnissen des Panel 2 zusammen, was Ton Nijhuis so bündelt. "Parteipolitik in den Niederlanden und Deutschland kommt aus zwei verschiedenen Welten. In Deutschland funktionieren die Parteien im Vergleich zu den Niederlanden noch sehr gut.Niederländische Parteien sind zu technokratisch - das nutzen Populisten aus. So kommen die etablierten Parteien in Existenzängste."

Frau Münch fragt nach: "Krise, welche Krise?!?" Dabei greift sie das Wort Frau Neus auf. "Volksparteien machen ihre Sache gut und haben keine Existenznöte."

Warnfried Dettling sieht doch Krisensympthome. "Wenn Demokratie eine Zukunft haben soll, dann muss die Demokratie sich regional und strukturell ausweiten!"
"Man weiß nicht mehr wen oder was ich wähle, wenn ich zur Wahl gehe. Neue Koalitionen - auch Minderheitsregierungen sind möglich und nicht schlimm - aber sie frustieren die Stammwähler der Parteien."
"Direkte Demokratie soll die repräsentative nicht ersetzen, sondern muss diese ergänzen."

Franz Müntefering sieht starke Veränderungen im Mobilitätsverhalten der Wähler und Mitglieder von Parteien. "Die Bedingungen sind prinzipiell verändert - das spricht aber nicht gegen Demokratie. Parteien sind eine segensreiche Einrichtung. Wer etwas verändern will, kann es nicht alleine machen. Streit, Orientierung und der Konflikt um den richtigen Weg kann man nicht durch Twitter oder Facebook ersetzen.
Das sind zwar nützliche Instrumente, aber die Frage zielt auf die Demokratie und nicht darauf, wo die Zukunft der Parteien liegt."

Nijhuis unterstützt diese Position: "Man kann einen Staat und die Demokratie nicht ohne Parteien denken. Man braucht Parteien, um die demokratischen Prozesse zu organisieren. Parteien haben auch das Monopol  über die Verteilung von politischen Posten und sind deshalb immer noch zentral."

Müntefering präzisiert dieses Statement: "Meiner Meinung nach führen die Parteien den Staat nicht. Sie sind Dienstleister, die für das Volk arbeiten. Die Sicherheit die die Menschen wollen, können wir (die Politiker) ihnen aber nicht geben - ohne zu lügen. Wollten wir solide Politik betreiben, müssten wir Politik auf zwanzig Jahre ausrichten. Die nächste Wahl steht aber in zwei Jahren an - und die wollen wir doch auch gewinnen. So geht Vertrauen verloren, weil Erwartungen enttäuscht werden."
"Parteien geben aber vielmehr die Chance, um den richtigen Weg zu streiten. Die politische Bildung der Mitglieder der Parteien sind auch im Durchschnitt höher als die des Restes der Bevölkerung."

Fleur de Beaufort sieht die großen Parteien in der "grauen Mitte", die über keine Unterschiede mehr verfügt. "Die große Herausforderung der etablierten Parteien ist es, dem Wähler zu erklären, was die Ideologie der Parteien ist. Dies gelingt aber oft nicht."

Nijhuis sieht ein strukturelles Problem. "Die Parteien haben die Bindung zu ihren Wählern verloren, weil die Milieus sich auflösen."

Hier erhebt Dettling heftigen Einspruch: "Ändern sich die Bedingungen, dann ist es die Aufgabe der Parteien sich anzupassen! Parteien waren mal die Agenten des Gemeinwohls. Was ist heute damit?"
"Wir sehen oft ein postdemokratisches Modell: Nur noch die Fassade steht, aber dahinter ist kein Leben mehr. Das muss sich ändern."

Hier setzt Müntefering nach: "Politik bewegt sich in einem Spannungsfeld politische Ideen populär zu machen."
"Der Kern der Demokratie ist, die Gleichwertigkeit aller Menschen. Das sage ich auch allen Populisten. Wer dagegen verstößt, der widerspricht auch jedem demokratischen Grundgedanken."

"Wir brauchen neue Formen der Zusammenarbeit, eine neue Art des Zusammenwirkens, in der Gesellschaft, allein aus zeitlichen Gesichtspunkten. Wenn das Geld sich schneller bewegt, als der Mensch es nachvollziehen kann, dann steht die Demokratie vor einem großen Problem. Der Bundestag ist hier auch schon in die Falle getappt."

Das Plenum ist für Fragen aus dem Publikum nun geöffnet.

"Wie lässt sich die Demokratie nun vitalisieren?"

Dettling nimmt die Gelegenheit wahr zu antworten: "Eine politische Partei ist eine gute Partei, wenn sie die politische Bildung zu ihren Mitgliedern verbessert. Dennoch müssen wir mehr Phantasie entwickeln, wie man die Demokratie beleben kann. Das können auch kleine Antworten sein. Das beginnt bspw. schon bei Bürgermeisterwahlen und wer aufgestellt werden darf bzw. soll. Problematisch ist doch, dass die Demokratie auch funktioniert, wenn 20 und mehr Prozent der Bürger sich überhaupt nicht mehr für Politik interessieren und sich beteiligen. Zugespitzt gesagt: Die Dienstwagen rollen trotzdem."

Eine These aus dem Publikum: "Demokratie lebt doch von Voraussetzungen, die sie nicht selber schaffen kann. Politik muss sich durch supranationale Institutionen Handlungsspielräume schaffen, um sich dort zu legitimieren. Das ist eine große Herausforderung."

Dettling weist darauf hin, dass die Demokratie auch der Sozialisation bedarf. "Wir brauchen eine Schule der Demokratie."

Eine Frage an Franz Müntefering: "Wie sehen die Chancen aus, dass die Politik sich die Handlungsfähigkeit von den Märkten zurück erkämpft?"

Fleur de Beaufort antwortet zuerst für die Niederlande. "Es kann nicht so weitergehen. Aber die Bürger wollen nicht eine so unspezifische Antwort. Keine Alternativlosigkeit. In den Niederlanden darf innerhalb der liberalen Partei momentan nicht einmal mehr über die Zukunft des Euros gesprochen werden. Das wird bei der nächsten Wahl abgestraft werden."

"Direkte Demokratie funktioniert nur auf kommunaler Ebene, nicht auf der internationelen", so Nijhuis.

Müntefering nun zu der Frage nach dem Primat der Politik. "Demokratie muss so schnell sein, wie andere Staatsformen auch. Sie muss auch beweisen, dass sie ökonomisch leistungsfähig ist. Wenn die Demokratie das nicht schafft, wird es schwierig."

Fleur de Beaufort: "Die Situation in den Niederlanden hat ja auch etwas positives. Wilders zwingt die anderen Parteien, sich mit den Vermittlungsproblemen in der Politik auseinanderzusetzen. Parteien müssen ihre Positionen besser erklären."

Frage aus dem Publikum: "Was ist mit der Einführung einer Wahlpflicht?"

Nijhuis antwortet: "Wahlpflicht bringt nichts, da man das Problem nicht löst. Zwang bringt in einer Demokratie nicht weiter, da man auch die Freiheit hat, nicht zur Wahl zugehen. Außerdem sind 75 Prozent Beteiligung doch gute Zahlen."

Auch Müntefering meint: "Es ist ein Wahlrecht, da braucht man keine Pflicht. Man muss doch durch Zuversicht die Menschen mobilisieren."

Statement zur Identifikation der Menschen mit Europa oder dem Nationalstaat. "Die junge Generation fühlt sich als Europäer."

"In den Niederlanden fühlen sich die Jungen zwar auch eher als Europäer, aber alle sind noch nicht so weit, wenn es um Sozialleistungen geht und für den europäischen Nachbarn gezahlt werden soll. Wir müssen Europa in eine Zukunftssprache übersetzen - bis jetzt ist Politik in Europa Vergangenheitsbewältigung", positioniert sich Nijhuis dazu.

Das Schlusswort von Vester aus dem Publikum: "Ich erinnere an Churchill, Demokratie ist eine schlechte Staatsform - die anderen sind nur viel schlechter!"

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