"Keine grundlegenden Probleme im Parteiensystem"

Dr. Viola Neu  referiert im Panel 2 des "NRW Forum Zukunft" zum Thema 'Welche Schwächen der etablierten Parteien nutzen die Populisten?'. Seit 2011 leitet sie das Team "Empirische Sozialforschung" bei der Konrad Adenauer Stiftung (Kas) in Berlin. Darüber hinaus weist sie besondere Expertise in den Bereichen der Wahl- und Parteienforschung sowie der Extremismusforschung auf, wozu sie mehrere Arbeiten publizierte. Wir hatten Gelegenheit Frau Dr. Neu zum Thema zu befragen...


"Frau Neu, jüngst haben Sie eine Analyse des aktuellen Programms der Linken publiziert.
Welche Konsequenzen wird diese Programmatik für die Parteienlandschaft haben? Sehen die Koalitionsfähigkeit und -würdigkeit der Linken schwinden?"  
"Die Linke hat sich als einzige Bundestagspartei als Wahlstrategie für die Bundestagswahl 2013 auf eine radikale Oppositionsstrategie festgelegt. Dies wird zur Konsequenz haben, dass bei allen Abstimmungen im Bundestag die Linke immer die Partei sein wird, die dagegen stimmen wird, um ein glaubwürdiges Argument zu haben, dass sie die einzige Opposition gegen alle anderen Parteien darstellt...

Was die Koalitionsfähigkeit angeht gibt es eine Zweiteilung. Die Linke hat beschlossen, dass die Länder im Prinzip, was Koalitionen angeht, frei sind. Für den  Bund hat sie sogenannte Haltelinien beschlossen. Ob sie im Falle einer arithmetisch denkbaren Koalition zum Tragen kommen werden? Das wäre Kaffeesatzleserei; das einzige was man momentan sicher sagen kann ist, dass die Linke versucht sich durch die Mobilisierung von politischem Protest im Parteiensystem ihre Nische zu erhalten. Die Auswirkungen auf die anderen Parteien sind natürlich immens, weil die Linke sich damit aus der politischen Verantwortung, die jetzt gerade im Zusammenhang mit der Euro- und Finanzkrise eine große Rolle spielt, quasi heraus stiehlt, während die anderen Parteien natürlich politische Verantwortung übernehmen. Das macht ein Zusammengehen in einer potentiellen Koalition ausgesprochen schwierig, wenn ein Partner sich auf die ‚angenehme‘ Opposition verlagert und die anderen dafür einstehen müssen, dass politisch verantwortlich gehandelt wird."
 

berspitzt formuliert, arbeiten doch mehr Menschen an der Entwicklung eines Programms, als es hinterher von Menschen gelesen wird. Halten Sie Grundsatzprogramme da überhaupt noch für ein zeitgemäßes Instrument der Parteienkommunikation?"
"Programme richten sich natürlich nicht nur an Wähler, sondern auch an Mitglieder. Die Notwendigkeit ein Grundsatzprogramm zu schreiben gibt ja nicht nur das Parteiengesetz vor, sondern es ist auch bei Parteien regelmäßiges Bedürfnis sich neu zu orientieren, weil bestimmte Fragen zu bestimmten Zeitpunkten, an denen Parteiprogramme entstanden sind, noch gar nicht existierten. Mit programmatischer Arbeit versucht man die Parteimitgliedschaft innerhalb dieser neuen politischen Fragestellungen einzubinden und zu integrieren, dann auch innerparteiliche Diskussions- und Willensbildungsprozesse auszulösen und dann auch mit programmatischen Aussagen in der zweiten Linie die Wähler über die veränderten Aussagen zu informieren, die man im Zweifel zu neuen Fragestellungen entwickelt hat. Deswegen haben Grundsatzprogramme nicht nur ihre Berechtigung, sondern sie sind nach wie vor ein zentraler Bestandteil der Parteienlandschaft sowie der politischen Orientierung und damit auch der politischen Unterscheidbarkeit von Parteien."

 
"Was sind Ihrer Meinung nach die drei größten Schwächen der etablierten Parteien?"
"Das ist eine Frage, die ich so nicht beantworten kann, weil ich bei den etablierten Parteien – abgesehen von einzelnen Kritikpunkten -  keine klassischen Schwächen sehe. Eigentlich handeln die etablierten Parteien je nach Programmatik verantwortungsvoll, sie sind unter einander koalitionsfähig  - was für mich ein gutes Zeichen des Parteiensystems ist – und ich sehe hier keine grundlegenden Probleme im Parteiensystem."
 
 

"Gefahr oder Chance – was überwiegt und warum? Sind die Volksparteienruinen eine Gefahr für die Stabilität unserer Demokratie oder ist das dynamische Vielparteiensystem gerade eine Chance für mehr Demokratie und Beteiligung?"
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Weder noch. Wir haben es mit normalen Entwicklungsprozessen zu tun. Wir haben einen Ausdifferenzierungsprozess in der Wählerschaft, wo auch neue Interessenlagen hinzugekommen sind. Das drückt sich klassischer Weise im Parteiensystem aus. Von einem allgemeinen Trend kann man ja nicht reden. Wenn man alleine die Wahlergebnisse von 2009 bis heute betrachtet, gibt es eben auch Länder mit ganz wenigen Parteien, die im Parteiensystem repräsentiert sind; es gibt Länder wo bis zu sechs Parteien in den Parlamenten vertreten sind, es gibt absolute Mehrheiten wie dieses Jahr in Hamburg die SPD erzielt hat, es gibt eine extrem große Vielfalt, sodass man von einem generellen Trend nicht reden kann. Hätte jemand 2009 die These aufgestellt, dass die SPD demnächst wieder bei einer Landtagswahl die absolute Mehrheit erringt, hätte er wahrscheinlich schallendes Lachen geerntet. Deswegen finde ich diese allgemeinen Beschreibungen des Parteiensystems mit dem Krisenvokabular verhältnismäßig unzutreffend, weil wir es mit einer sehr differenzierten Situation zu tun haben. Man muss eben auch die Situation der Länder mit einbeziehen und nicht nur auf den Bund schauen." 

"Die Wissenschaft warnt davor, die Bürger wollen mehr davon: direkte Demokratie – ist unsere repräsentative Demokratie ein Auslaufmodell?"
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In keinster Weise. Hierbei geht es ja nur um ergänzende Instrumente in bestimmten Fragen. Und auch hier ist es fraglich, denn der Bürger sollte nicht in die Rolle des Gesetzgebers erhoben werden. Deswegen ist die parlamentarische Demokratie nicht am Ende, sondern ganz im Gegenteil geht es hier um Integrationsverfahren. Bei einem Punkt muss man nur immer ganz vorsichtig sein. Die repräsentative Demokratie garantiert einen ausgesprochen differenzierten Interessenausgleich. Wenn wir in den Bereich von Volksabstimmungen, unabhängig von der Quorengröße kommen, haben wir natürlich eine starke Dominanz im politischen Prozess einer spezifischen Interessenlage. Menschen die sich nicht für bestimmte Themen interessieren, vielleicht weil sie auch gar nicht betroffen sind – z.B. von einem Umbau eines Hauptbahnhofes und von Verkehrsmaßnahmen oder von Entwertungen von Grundstücken,  fühlen sich dann nicht angesprochen. Dass dann natürlich auch keine Mobilisierung besteht, ist durchaus nachvollziehbar. Deswegen bin ich der Ansicht, dass man bei den zusätzlichen Elementen, die zur repräsentativen Demokratie hinzugefügt werden, sehr vorsichtig sein muss. Denn Bürgerbeteiligung heißt nicht automatisch, dass auch tatsächlich ein Interessenausgleich stattfindet."

"Zuletzt ein Blick in die Zukunft der Parteien: Welche organisatorischen Veränderungsprozesse sollten/müssten die etablierten Parteien einläuten, um künftig wählbar und damit gestaltungsfähig zu bleiben? Wie sieht die Partei der Zukunft aus?"
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Also bei der Frage der Wählbarkeit und Gestaltungsfähigkeit von Parteien sehe ich kein Problem. Wo sich natürlich organisatorische Fragen stellen sind die Kampagnenfähigkeit durch die schwindende Mitgliederzahl. Nun muss das natürlich auch kein Selbstläufer sein, wir haben es in den letzten Jahren bei den Grünen erlebt, die zu Beginn bei knapp Mitte 40 Tausend nun bei knapp 60 Tausend Mitgliedern gelandet sind, was natürlich zeigt, dass es nach wie vor ein großes Interesse an parteispezifischer, politischer Partizipation gibt. Ich glaube von einem Gedanken muss man sich verabschieden: Die 70er Jahre mit dem Wunsch vieler Menschen sich in Parteien zu engagieren, sich innerhalb von sozialen Bewegungen zu engagieren – es gab in der alten Bundesrepublik damals Demonstrationen mit bis zu einer Millionen Teilnehmern – sind vorbei. Diese Partizipationsraten werden wir in absehbarer Zukunft nicht mehr erreichen. Das hat natürlich Auswirkungen auf die Organisationsfähigkeit von Parteien. Also, wenn früher Parteien in der Lage waren einen flächendeckenden Wahlkampf zu führen, wird diese Eigenschaft wahrscheinlich in der nächsten Zeit  zurückgehen und man muss dann eben andere Formen der klassischen Wahlkampfführung finden. Ansonsten wie gesagt bei den klassischen Fragen wie Gestaltungsfähigkeit und Regierungsfähigkeit, sehe ich die Parteien in keiner Krise.   

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stephan Zitzler 

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