Der Staat als Plattform – Kann der Staat von Google, Facebook & Co. lernen?

Tim O' Reilly
Tim O'Reilly - mit diesem Namen werden höchst-wahrscheinlich nur die technikaffinen Leser, die digital natives (die „digitalen Einheimischen“), etwas anzufangen wissen. Mehr oder minder bekannt ist der gebürtige Ire als Schöpfer des (Un-) Wortes „Web 2.0“. Als (selbsternannter) personifizierter „Katalysator technologischer Entwicklung“ tingelt der Social-Media-Entrepreneur seit Jahren als prominenter Keynote-Speaker von (Web-) Konferenz zu (Web-) Konferenz. Gäbe es so etwas wie eine „digitale Avantgarde“, dann könnte man O’Riley getrost als die fleischgewordene Speerspitze eben dieser bezeichnen.

Im Jahr 2009 – „Web 2.0“ hat sich längst in den alltäglichen Sprachgebrauch eingebrannt - lanciert O'Reilly eine neue Catchphrase für die Internetcommunity: „Government as a platform“. Was steckt dahinter? Was meint O’Riley mit dem Staat als Plattform?




Vom Plattformunternehmen zum Plattformstaat?
Der Staat als Plattform ist ein Terminus mit technischem Bezug: Plattform steht in diesem Sinne synonym für eine Softwareart, die eine einheitliche Basis und Schnittstellen für Zusatzentwicklungen bietet. Quasi eine Andockstation. Als Beispiel führt O’Riley Microsofts Erfolg in der Erschließung des Personal Computer-Marktes mit Software-Plattformen wie MS-DOS und mit Microsoft Windows an. Die Betriebssysteme, bzw. deren offene Schnittstellen (API), ermöglichten es unabhängigen Softwareentwicklern zusätzliche Programme für die besagten Plattformen zu Schreiben. Erst dadurch konnte eine breite Softwarepalette den Computernutzern angeboten werden. Eine „Win-Win-Win-“ Situation für Microsoft, Nutzer und Softwarehersteller. Dieser Philosophie folgen heute viele der treibenden Kräfte des „Web 2.0“. Also Plattformunternehmen wie etwa Facebook oder Google, die ebenfalls offene (Online-) Programmierschnittstellen Entwicklern zur freien Verfügung stellen.

O’Riley überträgt diesen Plattformgedanken konsequent auf den Leistungskatalog des Staates: Die Datenbestände des öffentlichen Sektors – zunehmend als ein nationales (wirtschaftliches) Gut anerkannt – sollten demnach offen im Netz angeboten werden. Open Data eben. Der Staat, als Plattform, öffnet und standardisiert also einerseits seine Datenbestände für die Verarbeitung durch Dritte und sorgt gleichzeitig dafür, dass er die Basis für die weitere Nutzbarmachung dieser Daten durch eine offene (Software-) Architektur ermöglicht. In O’Rileys (englischen) Worten: „In the context of government as a platform, the key question is what architectures will lead to the most generative outcome. The goal is to design programs and supporting infrastructure that enable “we the people” to do most of the work.” Der private Sektor, Bürger und der Staat arbeiten zusammen und erschaffen so Angebote, die der Staat alleine nicht umsetzen könnte. Hinzu kommt eine erhöhte Transparenz öffentlicher Institutionen und die Partizipation der Bürger wird – so zumindest theoretisch – gefördert. Transparenz, Partizipation, Kollaboration (Zusammenarbeit) – das sind also die Hauptingredenzien des Plattformstaates.

Mit exakt diesen drei Schlagworten richtete sich US-Präsident Barack Obama im Jahr 2009 an seine Führungsriege im Weißen Haus und den Ministerien. Das Transparency and Open Government Memorandum legte 2009 die Marschroute für die Open Government Initiative des Präsidenten fest, die nach Obama für “eine beispiellose Offenheit der Regierung“ stehen soll. Ein interessantes Ergebnis dieser Initiative ist die offizielle Website http://www.data.gov/, auf der mehrere hunderttausend Datensätze und „Apps“ (Applikationen) verfügbar sind. In den USA scheint der Plattformgedanke also schon recht konkrete Züge anzunehmen – auch lokal. Beispielhaft kann hier der Ideen- und Umsetzungswettbewerb „appsfordemocracy“ (Washington D.C.) angeführt werden. Laut Initiator (dem District Chief Technology Officer und späterem Chief Information Officer of the United States, Vivek Kundra) wurden 47 Apps entwickelt und dadurch 2.600.000 US-Dollar eingenommen.

Die Datenlawine rollt (gaaaanz) langsam los - Open Data in Deutschland.
In Deutschland existieren bereits seit einigen Jahren vereinzelt Projekte, die ebenfalls auf die virtuelle Zusammenarbeit zwischen staatlichen Behörden oder Parteien und den Bürgern bzw. Wählern setzen. So sind Transparenz, Partizipation und Kollaboration Kernelemente von (elektronischen) Bürgerhaushalten (z.B. von der Stadt Köln). Die Nutzung geographischer Daten kombiniert mit dem Input der Bürger haben die SPD 2009 in Hamm (Westfalen) oder das Kölner Unortkataster, bereits seit 2007 online, erprobt. Abgesehen von solchen Einzelprojekten war hierzulande allerdings lange Schicht im digitalen Schacht.

Noch im September kritisierten die Grünen, in Person des Bundestagsabgeordneten Konstantin von Notz, in einer Anfrage an die Bunderegierung den Nicht-Beitritt Deutschlands zum sogenannten Open Government Partnership (OGP), einer internationalen Open-Government Initiative, der sich 46 Staaten angeschlossen haben. Die Bundesregierung verwies in Ihrer Antwort auf „eine ebenübergreifende Plattform“ die in Deutschland bis 2013 ausgebaut werden solle, „um Informationen und Angebote im Bereich Open Government zentral einzustellen“. Die Regierung begrüße zwar die OGP-Initiative, die eigene Schwerpunktsetzung liege aber momentan auf „nationaler und europäischer Ebene“. Der derzeitige Stand des Regierungsprogramms zu Open Data „Vernetzte und transparente Verwaltung“ kann unter http://www.verwaltung-innovativ.de eingesehen werden.

Der digitale Fortschrittsbalken wächst allerdings auch hierzulande kontinuierlich: Erst vor wenigen Wochen ist unter der Schirmherrschaft des Bundesministeriums des Inneren der Wettbewerb "Apps für Deutschland" vom Open Data Network, der Open Knowledge Foundation Deutschland und des Government 2.0 Netzwerk Deutschland (nach amerikanischem Vorbild) gestartet. Der Wettbewerb richtet sich an die breite Öffentlichkeit, die „Ideen” und „Anwendungen” für die Nutzbarmachung öffentlicher Daten entwickeln soll, sowie an Behörden, die ihre „Daten“ zur Weiterbearbeitung freigeben können. Und wenn man mal ein wenig nach offenen Daten sucht, dann findet man auch hierzulande schon eine ganz beachtliche Sammlung: So z.B. bei der Umweltprobenbank des Umweltbundesamtes oder zu Berlin.

Plattform hin oder her – die Nodalität des Staates ist zentral.

Ob man nun – im Sinne von O’Riley - vom Staat als Plattform oder ganz einfach von Open Data spricht, ist im Grunde genommen eines: völlig Wurst. Denn im Endeffekt ist der „Staat als Plattform“ eine Metapher. Hinter dieser Metapher steht allerdings eine größere Philosophie, die in den vergangenen Jahren von Personen wie eben Tim O‘Riley oder Sir Tim Berners-Lee (verantwortlich für http://data.gov.uk) mit Erfolg in die Politik eingebracht worden ist. Eine Philosophie, die darauf beruht, dass Daten für jedermann frei zugänglich gemacht werden.

So weit, so schön - Klar muss dabei allerdings sein: Frei verfügbare öffentliche Daten, offene Softwarestandards und –Schnittstellen können zwar Transparenz, Kollaboration und Partizipation ermöglichen, „ermöglichen“ bedeutet aber eben in diesem Zusammenhang nicht, dass Open Data per se ein Selbstläufer ist und diese drei „urdemokratischen“ Attribute zwangsläufig erfüllt werden. Eine Öffnung der Datenvorräte der Behörden ist technisch heute problemlos möglich. Allerdings muss den technischen Aspekten immer eine politisch gewollte und systematisch durchdachte Vorbereitung voranstehen. Denn die Aufgaben-, Wirkungs- und Zielbereiche des Staates unterscheiden sich deutlich von denen der Plattformunternehmen, die O’Riley als Vorbilder nennt. Vorderste und offensichtliche Unterscheidung: Der Staat ist eben KEIN Unternehmen. Ohne hier auf sämtliche Implikationen detailliert eingehen zu können, sollten einige Punkte herausgehoben werden: (1) Staatliche Behörden haben Zugriff auf besonders sensible und oft miteinander verwobene Daten, dass macht die klare Trennung zwischen öffentlichen und privaten, zwischen unbedenklichen und sensiblen Daten intransparent. Datenschutz muss daher stets im Mittelpunkt stehen. (2) Zudem fehlen dem Staat die Kapazitäten, um Entwicklungen Dritter zu überprüfen. Daten- oder Anwendungsmissbrauch würde jedoch immer auf staatliche Behörden zurückfallen; (3) Öffentliche Wertschöpfung unterscheidet sich grundlegend von betrieblicher Wertschöpfung. Die Öffnung von Daten darf nicht den puren Zweck erfüllen, dass sich geschäftstüchtige Entwickler in die eigene Tasche wirtschaften. Open Data muss also idealiter immer auch einen öffentlichen Mehrwert bieten. (4) Die Open Data-Perspektive darf sich nicht bloß auf das Datenangebot des Staates verhaften. Staatliche Behörden sind Datenproduzenten - aber eben auch Datenkonsumenten. Viele nicht-staatliche Institutionen, Organisationen, Forschungseinrichtungen, Unternehmen und auch Bürger können ebenfalls wichtige Daten oder Auswertungen für staatliche Behörden liefern. Open Data kann nur reziprok funktionieren.

In diesem Sinne muss (Daten-) Transparenz insbesondere dort gewährleistet sein, wo sinnvolle Möglichkeiten für Kollaboration und Partizipation bestehen und wo für alle Beteiligten überhaupt ein Mehrwert entstehen kann. Schließlich lautet die Frage nicht, ob der Staat nun eine Plattform ist oder eine Plattform werden kann. Viel wichtiger erscheint die Frage, wie sehr einerseits der Staat dazu bereit ist, Informationen auszutauschen und wie es – andererseits - um die Bereitschaft der Bürger dazu bestellt ist. Der Staat im digitalen Zeitalter muss Sprachrohr und Hörgerät zugleich sein - er muss „nodal“ – also als informationeller Knotenpunkt - fungieren. Und dazu gehört einerseits ein Grundvertrauen des Staates in seine Bürger, anderseits aber auch ein Ebenmaß an Vertrauen der Bürger in den Staat.

Foto: Brian Solis, (CC BY 2.0), entnommen bei Wikimedia Commons (Link)

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